Vorderseite des hier besprochenen Faltbriefes aus Genua nach Messina.
1857: Genua -> Messina mit französischem Dampfer
Entdeckt habe ich diesen Brief auf ebay.com zu einem Zeitpunkt, als die Auktion noch bei weniger als einem US-Dollar stand, eingestellt von einem New Yorker eBay-Händler, der viele (wenn nicht alle) seiner Angebote bei einem US-Cent beginnen läßt. In der Überschrift war ein Scott-Katalog-Preis von 4200 USD angegeben.
Natürlich ist der Zuschlag nicht unter einem USD gebleiben - dafür sind auf eBay einfach zu viele Schnäpchenjäger unterwegs. Aber bis 4200 USD ist der Preis auch nicht hochgegangen. Begleitet war die recht kurze Beschreibung "Scott 12e,13d auf Brief aus Genua, 4200 USD" von vier sehr unscharfen Fotos, auf denen erkennen konte, dass diese Brief ein Sergio Sismondo beiliegt, von dem man zwar einzelne Worte lesen konnte, aber immer dort wo es interessanter wurde, wurde es unscharf.
Dito bei den Bildern des Briefes selbst. Am klarsten war die Rückseite abgebildet, sodass ich was das Jahr anging nicht raten mußte. Aber schon auf der Vorderseite war mir nicht klar, ob es sich um einen Dreierstreifen der 40 centesimi handelte oder eine Einzelmarke und ein Päarchen ... meine Schmerzgrenze habe ich dann auf der Basis der billigste bis 1857 (inkl.) möglichen Farbe und der Annahme getroffen, dass die größte Einheit ein Päarchen ist. Um so zufriedener war ich, als ich den Beleg in den Händen hielt uns es sich tatsächlich wie erhofft um einen Dreierstreifen handelte - der Bug durch den Brief und die 20 Centesimi fiel dann fast nicht mehr auf.
Das Sismondo nicht nur die Scott Nummern angibt, sondern auch die Sassonenummern - und sich dabei nicht auf die billigste Farbe beschränkt ist ein Zubrot. So ganz traue ich diesen Farbbestimmungen nicht ... aber wie war das: "Abseits ist, wenn der Schiri pfeift" bzw hier: es ist die teure Farbe, wenn der Prüfer diese attestiert. Ich hdenke, dass sich zu diesem Sismondo Zertifikat bald ein zweites hinzugesellt. Lassen wir uns überraschen. 1)
Moment: Sismondo ist doch ein international anerkannter Experte - warum reicht ein Attest vom ihm nicht aus? Kurz: es mag Sammler geben, die jedes Attest oder Zertifikat für bare Münze nehmen. Ich will nicht sagen, dass man Sismondos Expertise nicht trauen kann, aber er signiert und attestiert viel zu viele Sammelgebiete für einen einzelnen Philatelisten.
Laut filatelia.fi
(einer Seite aus dem Umfeld des Fakes, Forgeries & Experts Journal
kann man seinen Expertisen für Nordamerika trauen. Und der
Collectors Club of Chicago listet Rückseite des hier besprochenen Briefes aus Genua nach Messina. Nach gefühlten drei Seiten Einleitung ist es m.E. Zeit, endlich mal den Brief zu beschreiben.
Hierzu bediene ich mich des Sismondo-Zertifikates, den grobe Fehler habe ich bisher nicht entdecken können:
... Hülle eines Faltbriefes aus Genua, Ligurien nach Messina, Königreich beider Sizilien, aufgegeben am 5 May 1857,
frankiert mit vier Freimarken des Königreiches Sardinien "König Vittorio Emanuele II" 20 centesimi himmelblau ("Celeste")
und ein senkrechter Dreierstreifen der 40 centesimi hell Vermillion ("vermiglio tenue"), ungezähnt, auf weißem, glatten
wasserzeichenlosen Papier, Scott Classics Specialized Catalogue # 12e,13d, Sassone Catalouge # 15f, 16,
übergehend entwertet durch vier Abschläge des Einkriesstempels "GENOVA / 5 /MAG/57/4S", nochmal nebengesetzt,
mit handschriftlicher Anweisung "Col Postale Francese" und rückseitig dem Ankunft-Zeilenstempel "MES - 1857/9 MAGo".
Soweit der beschreibende Teil des Zertifikates. Im analytischen Teil führt Sismondo unter (5) an:
Die Bezahlung von 1.40 Lire entspricht der Postgebühr für einen doppeltschweren Brief
(zwischen 7.5 und 15 gr.) vom Königreich Sardinien in das Königreich Beider Sizilien mit französischem Dampfschiff.
Verifizieren kann ich diesen Tarif nicht, allerding bildet Mentaschi einen Brief von Genua nach Civitavecchia ab,
1.20 Lire freigemacht ist, und in Civittavecchia mit 24 Bajocchi taxiert wurde.
Insofern können die 1.40 Lire stimmen, und auch die Taxierung in Messina mit 66 Grana. Denn Mentaschi merkt an, dass die
französisch-sardische Konvention nur eine Frankierung bis zum Entladehafen vorsah. Dass Sismondo die Taxierung nicht erwähnt,
enttäuscht mich doch ein wenig, mir leuchtet nämlich noch nicht ein, warum die 66 notiert wurde, dann gestrichen und wieder notiert.
Der Umgang mit Postverträgen ist für mich noch ein Buch mit sieben Siegeln.
Linienführung der französischen Postschiffe zwischen Marseille und Malta.
Aus: Mario Mentaschi. Lire, Soldi, Crazie, Grana e Bajocchi. Vaccari. 2003 Anmerken möchte ich noch, dass dieser Brief auch zeigt, wie sehr durch die italienische Einheit die Postgebühren gesunken sind,
bzw. wie teuer sich die Franzosen sich den Transport bezahlen ließen. Einige Jahre später reichte eine einziger dieser Marken
(und bei einem einfachgewichtigen Brief wäre dass die 20 Centesimi aus, dass Porto zu bezahlen.
Fußnote:
1) Paolo Vaccari gibt in seinem "Francobolli e Storia Postale, Trattato storico e catalogo con Valutazioni,
Vignola 2010" an, dass die deutlich preiswerter notierten Farben von 1857 (was der Sassone 16A entspricht)
ab Juni 1857 verwendet wurden, im Mai 1857 also noch ausschließlich die 1855 Farben verwendet wurden.
Und das von Sismondo zertifizierte "vermiglio tenuo" ist die preiswerteste der 1855 Farben.
Wenn sich das bewahrheitet stehe ich ernsthaft vor der Frage: Behalten für die eigenen Sammlung
oder doch mit einer guten Beschreibung verkaufen.
Für Interpretationsideen - oder auch Fehlerkorrekturen - reicht eine kurze email an mich.
Stephan Jürgens, AIJP, sfj@italien-philatelie.de