Deutsche Verzollungsgebühren
Italienische Paketkarten mit einem BPP Attest sind nicht häufig. Mit ein Grund ist, dass laut BPP - Prüfordnung "Attest(e) ab einem Michel-Katalogwert von 500,00 Euro ausgestellt (werden). Und die Hürde schaffen nur die gebrauchten Paketkarten des RSI. Mit 7,50 € ist die hier gezeigte Karte Lichtjahre von dieser Hürde entfernt - und auch die Preise in den italienischen Katalogen helfen nicht weiter - von einer Zusatzfrankatur mit einer Paketmarke, welche diesen Beleg deutlich in die Attestwürdigkeit heben würde, ist hier nichts zu sehen. Die wesentliche häufigere Zusatzfrankatur mit einer normalen Freimarke verdoppelt in den italienischen Katalogen nur den Wert. Die Fußnote im InterItalia zu dieser Ausgabe, dass diese Karten viele Postämter erst mit reichlich Verspätung erreichten und deshalb Verwendungen in 1889 besonders gesucht seinen hilft uns nicht weiter - diese Karte wurde Februar 1891 verwendet. Und damit haben wir einen weiteren Grund, warum italienische Paketkarten mit BPP-Attesten etwas seltenes sind: ein Sammler, der in der Situation ist, ein Attest für eine italienische Paketkarte haben zu wollen, ist weit genug fortgeschritten, um zu wissen, dass der Markt für italienische Briefmarken und Belege in Italien wesentlich besser ist, als hier in Deutschland - warum also nicht gleich ein Attest eines italienischen Experten besorgen? Dass das Prüfgebiet Italien, seit Dieter Newiger zum 31.12.2021 die aktive Prüftätigkeit beendet hat, beim BPP "frei" ist, eine aktuelle BPP-Prüfung also nicht erfolgen kann, wird die Anzahl der BBP-Attesten für italienische Paketkarten in Zukunft nicht merklich erhöhen.
Bevor wir uns mit der Rückseite dieser Karte beschäftigen (dort findet sich der Grund für das Attest) noch einige kurze Erläuterungen zur Vorderseite, die es nicht in den extrem ausführlichen Text des Attestes geschafft haben: versand wurde eine Kasette mit einem Gesamtgewicht von 2200 Gramm mit Objekten der Naturgeschichte, die als "Muscheln für Studienzwecke" näher erläutert wurden. Diese Inhaltsangabe ist zweisprachig französich/italienisch gehalten. Als italienisches Grenzpostamt ist Chiasso eingetragen, was mich vermuten läßt, dass diese Paket in Basel der Deutschen Reichspost übergeben wurde.
Rückseitig fallen als erstes zwei Freimarken der "Krone/Adler" Serie auf. Postwertzeichen aus zwei Ländern auf einem Bedarfsbeleg sind immer beachtenswert, aber im Paketdienst ab und an vorkommend: Zustell- und Lagergebühren sind typische Kandidaten - und wie in diesem Fall Gebühren für die Vorführung beim Zoll, die zu zahlen war, wenn sich der Empfänger bei der Schlußabfertigung durch einen Postbeamten vertreten ließ.
5 Pfg grün (das Inlands-Postkartenporto) und 10 Pfg rosarot (das Inlands-Briefporto) sind in der Regel keine Marken, für die man häufig Atteste sieht - schon gar nicht für die hier attestierten b-Farben - wie bei der italienischen zeitgleichen Serien: selten sind nur bestimmte Farben und diese im wesentliche im postfrischen Zustand.
Entwertet sind diese beiden mit einem Kreisstempel "SCHWANHEIM" (Thematiksammler: machen Sie mir ein faires Angebot - dieser Beleg muss nicht zwingend in meiner Sammlung bleiben) vom 3.3.1891, den gleichen Stempel zwei Tage früher (die Ankunft des Paketes in Schwanheim) und einen Transit-Stempel von Frankfurt/Main ebenfalls vom 1.3.1891. Ein weiterer Stempel - ich habe mir nicht die Mühe gemacht ihn vollständig zu entziffern, ich lese "Steueramt Frankfurt/M N 29" bestätigt vermutlich die Vorlage beim Zoll.
Gleich mit dem ersten Satz des Attestes überschreitet Claus Petry die Grenzen seines Prüfgebietes, indem er bestätigt, dass diese Ganzsachen-Paketkarte echt ist. Ich denke nicht, dass er mit dieser Beurteilung falsch liegt - aber eine strenger die Grenzen der Prüfgebiete im BPP beachtende Formulierung hätte gesagt, dass die rückseitig verklebten deutschen Marken und die deutschen Stempel echt sind, und die Beurteilung, ob die Ganzsache echt ist, seinem für Italien zuständigen Kollegen überlassen. Andererseits: wie sollen echte deutsche Marken und Stempel auf eine italienische Karte kommen, wenn diese nicht auch echt und zeitgemäß ist? Insofern wäre dies ein Streit um des Kaisers Bart.
Ich habe aus italienischer Sicht keinelei Bedenken, was Echtheit und zeitgemässe Verwendung dieser Paketkarte angeht, auch wenn ich in meiner recht umfangreichen Sammlung von Stempeln des Postamtes "FIRENZE FERROVIA" in dieser Periode keinen Stempel in Erinnerung habe, bei dem die Uhrzeit nicht eingesetzt ist. Ich habe mich längere Zeit gefragt, wieso sich Herr Petry so sicher ist, dass dies der Tagesstempel von FIRENZE FERROVIA ist, bis ich den Nummernklebestempel sah - manchmal übersieht man das offensichtliche ...
Petry erwähnt, dass einer der senkrechten Büge vor der Anbringung der 10 Pfg-Marke dargewesen ist - also eindeutig eine Transportspur ist - und erwähnt weitere Faltspuren, schreibt aber, dass die Karte im übrigen in guter Bedarfserhaltung sei. Drei Nadellöcher - die auf den Fotos des Attest zu sehen sind, werden nicht erwähnt. Die stören nur den Perfektionisten, der vermutlich die Karte wegen der deutlichen Büge und einiger Flecken schon abgelehnt hätte - der Postgeschichtler subsumiert dies unter Transport- und Alterungsspuren - und die sind Teil der Echtheitsvermutung.
Die zweite Seite beginnt mit der Erwähnung des Entwertestempels, anschließend erwähnt er die italienischen Portogebühren für Pakete bis 5 kg, welche vollständig durch den eingedruckten Wertstempel der Paketkarte abgedeckt wurden.
Nun endlich widmet sich Petry der Besonderheit dieser Karte: den Verzollungsgebühren: Petry erläutert, dass diese Gebühr 20 Pfg betrug, welche 5 Pfg Bestellgeld für die Zustellung des Pakets beim Emfänger enthielten. Eine Reduzierung um das Bestellgeld bei Selbstabholung sollte nach Vorschrift eigentlich nicht erfolgen. Und trotzdem scheint genau dieses passiert zu sein, denn es sind nur 15 Pfg verklebt und entwertet worden - das handschriftliche "selbst" mit Unterschrift am Oberrand der Karte stützen diese Deutung.
Petry schließt mit einer Bewertung, der ich nichts hinzuzufügen habe: "Paketkarten aus dem Ausland mit durch deutsche Marken verklebten Verzollungsgebühren sind selten."
Die dritte Seite des Attest zeigt leicht verkleinert Abbildungen von Vorder- und Rüclseite des Beleges.
Literatur
Maurizio Caimmi:Filagrano Interi Postali XXXII Edizione. 2020, FilSam; Dogana, 2019
Franco Filanci, Carlo Sopracordevole, Domenico Tagliente: InterItalia - Manuale Catalogo Specializzato degli Interi Postali dell'Area Italiana Edizione Ottimizzata, Laser Invest; Porto Mantovano, 2022
MICHEL Ganzsachen - Katalog Europa bis 1960 Schwaneberger Verlag Gmbh; Unterschleißheim, 2008
MICHEL Deutschland - Spezial 2016 Band 1: 1949 bis April 1945 Schwaneberger Verlag Gmbh; Unterschleißheim, 2016
Prüfordnung des Bundes Philatelistischer Prüfer e.V.
Für Interpretationsideen - oder auch Fehlerkorrekturen - reicht eine kurze email an mich.
Stephan Jürgens, AIJP, sfj@italien-philatelie.de