Doppelter Duplex-Abschlag im Januar 1877 in Florenz
10. Januar 1877: Florenz nach Lanark (Schottland und nicht wie der Absender geschrieben hat England). Nicht die Destination macht diesen Brief zu etwas besonderem. Die Hauptstadt der Toskana ist in den 1860er und 1870er Jahren mit Turin, Bologna und Mailand eine der italienischen Städte mit sehr viel internationalem Postverkehr - und auch Schottland löst keine Begeisterungsstürme aus, auch wenn Schottland ein wenig besser ist als London oder Paris.
Dem italienischen Philatelisten fällt hier die Kombination „blaue 20 cent“ und „ockergelbe 10 cent“ der De La Rue Serie mit Balkennummernstempel auf. Beide Marken ins 1863 bzw. 1867 werden im Jahr 1877 durch bildgleiche Marken in anderen Farben (20 c orange und 10 c grün) ersetzt und verlieren mit dem 31. August 1877 ihre Gültigkeit. Die Balkennummernstempel wurden im April/Mai 1877 eingeführt und so ergibt sich eine recht kurze gemeinsame Verwendungszeit von zwei recht beliebten Sammelobjekten des italienischen Königreiches. Nicht das man damit Millionär wird, aber in 1 € Kisten stehen solche Kombibelege nicht lange.
Jürgens: Du schreibst, dass die Balkennummernstempel im April 1877 eingeführt werden, dieser Brief ist aber aus dem Januar – da stimmt was nicht. Und damit nähern wir uns der Besonderheit: dieser Beleg ist ein Schlüsselstück der frühen italienischen Postautomation. Gemeinsam mit den Balkennummernstempeln im April 1877 werden auch die ersten in Italien hergestellten Handstempelmaschinen and die großen Postämter verteilt. Das besondere dieser Stempelmaschine war, dass sie den „Killer“ (oder den Nummernstempel) gleichzeitig mit dem Tagesstempel abschlug, der Bediener also nur einen Stempelvorgang hatte (und nicht zwei).
Konstruiert wurde die Maschine vom „Officine Enrico Dani“ in Florenz (und dass ist auch schon fast alles, was über die Entstehung der Maschine bekannt ist) und dort erstmals im Oktober 1876 eingesetzt/vorgeführt. Technisch ist diese Maschine vergleichbar mit den Pearson Hill Handstempelmaschinen aus den 1860er Jahren im Vereinigten Königreich (oder auch den späteren Daguin-Maschinen in Frankreich) aber deutlich robuster/klobiger/schwerer als das englische Vorbild. Das Stempeldesign bei den Versuchen im Oktober 1876 sieht exakt so aus wie hier gezeigt – mit dem gleichen großen Abstand zwischen den beiden Stempelelementen und dem „verdrehten“ Tagesstempel sowie den 8 Balken. Anfang Dezember 1876 muss es im Parlament in Rom eine Vorführung der Maschine gegeben haben, Ende Dezember tauchen die Dani-Stempel im endgültigen Design in Rom, im Januar verwendet Mailand und im Februar Florenz auch das endgültige Design, bei dem der Abstand zwischen den beiden Stempeln deutlich geringer ist und bei dem beide Stempelelemente auf einer Linie angeordnet sind (und bei dem es 13 ein wenig feinere Balken gibt).
Wir haben hier also noch das Versuchsdesign, und dennoch bin ich anders als die italienischen Händler nicht bereit, hier von einem Stempelversuch zu sprechen: die Versuche sind eindeutig vorbei, die Entscheidung für die Einführung ist getroffen, aber bevor Florenz das verbesserte Design bekommt, werden erstmal einige andere Postämter ausgestattet. Und dies alles, bevor im April 1877 die Einführung der neuen Stempelform per Rundschreiben des Minister allen Postämtern bekannt gegeben wurde.
Das besondere an diesem Brief ist, dass hier der Maschinenstempel ZWEIMAL abgeschlagen wurde – um ca, 4-5 mm versetzt. Ob dies nach der Vorschrift, dass jede Marke einen „Killer“ bekommen sollte erfolgte, oder ob das einfach nur daran lag, dass hier der Bediener den Brief nicht schnell genug wegnahm, lässt sich nicht wirklich entscheiden. Aber es ist der einzige mir bekannte Beleg mit zwei Abschlägen im Versuchsdesign. Wer diesen Beleg gesehen hat, kann keine Zweifel haben, dass in Florenz seit Oktober 1876 ein Duplex-Stempel verwendet wurde. Gekoppelt mit dem Wissen, dass Duplex-Stempel in Italien um diese Zeit ausschließlich in Stempelmaschinen eingesetzt wurden, macht diesen Beleg zu einem der Schlüsselbeleg der italienischen Postautomation.
Für Interpretationsideen - oder auch Fehlerkorrekturen - reicht eine kurze email an mich.
Stephan Jürgens, AIJP, sfj@italien-philatelie.de